Netz10 liest Zeitung: WaS Nr. 11

Auf dem Tisch liegt die Welt am Sonntag vom 14.3.2021. Im Vergleich zur FAS (Netz10 liest Zeitung: FAS Nr. 9) brauchen sie bei der Welt wohl mal einen neuen Korrekturleser. Oder der alte braucht mal ne neue Brille, um fehlende Leerzeichen zwischen Wörtern zu erkennen. Und damit hinein ins Lesevergnügen!

Netz10 liest welt am sonntag 5

Seite 2: „Der Erfolg der anderen“:

Deutschland steht beim Impfen im europäischen Vergleich schlecht da. Mit einer Impfquote von rund zehn Prozent liegt das Land EU-weit nur auf Platz elf.

Schuld ist natürlich der Spahn! Doch, Moment mal: Wenn wir auf Platz elf liegen und die EU hat 27 Staaten. Heißt das nicht, dass nur zehn besser sind, aber 16 Länder eine schlechtere Impfquote haben? Dass wir sozusagen einen der gehobenen Mittelfeldplätze innehaben? Dass wir zwar grottenschlecht sind, aber die meisten anderen Länder noch viel schlechter dastehen? Ich mein ja nur. Oder wo ist mein Denkfehler? Ich saug mir mal eine Erklärung aus den Fingern und die Story geht so: Vor der Pandemie hatte Merkel den übermotivierten Emporkömmling Spahn auf das vermeintlich unwichtige Gesundheitsministerium abgeschoben. Damit er was zu tun hat und ihr nicht die Show stiehlt. Doch Spahn mauserte sich wegen der Pandemie zum Liebling der Nation und drohte bis vor ein paar Wochen noch, sich zwischen Söder und Laschet als dritte Option für die Kanzlerkandidatur zu schieben. So kam es dann zum Laschet-Söder-Pakt. Spahn wurde gezielt zum Buhmann gemacht. Merkel hat alles freudig abgenickt. Und der naive Streber Spahn hat’s nicht gecheckt. Oder so ähnlich.

Seite 3: „Welt am Sonntag wirkt“:

In der vorausgegangenen Welt am Sonntag vom 7. März hatte die Zeitung wegen der sogenannten „Maskenaffäre“ gefordert, die Unionspolitiker Georg Nüßlein und Nikolas Löbel müssten ihr Mandat zurückgeben.

Viele Medien und Politiker erhoben später ähnliche Forderungen.

Daraus die Headline „Welt am Sonntag wirkt“ zu basteln ist mutig. Diese Forderungen wären natürlich auch so gekommen. Eine Korrelation ist nun mal keine Kausalität. Aber was soll’s. Seht her: Die Welt am Sonntag setzt die Impulse. Und das politische Deutschland dackelt hinterher.

Seite 6: „Immer möglichst fröhlich“: Janine Klose und Lara Urbaniak verstehen sich als Influencerinnen. 12.000 meist junge Follower haben sie. Und denen wollen sie Politik erklären, indem sie Politiker interviewen.

Klose arbeitet für einen CDU-Abgeordneten, Urbaniak seit kurzem für die Pressestelle der Parteizentrale. Beide betonen aber, mit ihrem Kanal unabhängig zu sein.

Unsere berufliche Existenz hängt zwar von der CDU ab, aber nur um das mal klarzustellen: wir sind trotzdem sooowas von unabhängig. An dieser Stelle beschließe ich, den Artikel nicht weiterzulesen. Reine Zeitverschwendung, denke ich. Doch dann lese ich doch weiter, da ich ahne, dass noch die eine oder andere Pointe folgen könnte…

Wenn sie andere Abgeordnete treffen, werden Fragen vorher den Büros übermittelt.

Knallharter Investigativjournalismus! Und weiter:

Wir haben uns entschieden: Wir sind kuschelig mit allen.

Kompliment! Das ist wenigstens ehrlich…

Inzwischen stapelten sich die Anfragen von jenen, die auch mal drankommen wollen, berichten die Frauen.

Logisch! Die Fragen werden von den jungen Damen ja vorab geschickt. Und obendrauf gibt’s noch eine Kuschelgarantie! Da würde der eine oder andere natürlich gerne mal kommen…

Seite 11: Syrien ist die größte Tragödie dieses Jahrhunderts: Ein Artikel von Entwicklungshilfeminister Gerd Müller über den Syrienkrieg:

Eine ganze Generation kennt seit zehn Jahren nichts als Angst und Not. Millionen Kinder drohen den Anschluss zu verlieren, können nicht zur Schule gehen, haben keine Perspektive.

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller

„…haben den Anschluss verloren“ würde es wahrscheinlich besser treffen. Nach 10 Jahren Elend, Not und Flucht haben sie schon lang den Anschluss verloren. Für die Schulsituation in Deutschland wäre wahrscheinlich öfter mal ein „drohen den Anschlusss zu verlieren“ angebrachter als „haben den Anschluss verloren.“ Nur mal so für den Kontext.

Seite 14: „Tonträger fürs Ich“:

Der Erfinder der Musikkassette Lou Ottens ist tot. Die Welt am Sonntag beschreibt ihn treffend als „Identitätsstifter“. Und ja, auch wenn wir es damals nicht so gesehen haben:

Die erste, naive Stufe der Musikpiraterie war das „Home Taping“, das Aufnehmen der von einem Freund gekauften Platte auf Kassette.

Denn genau so war’s. Tausende kulturell befreite Jugendliche saßen darüberhinaus in Bayern am Freitag abend mit dem Finger auf der Aufnahmetaste, wenn auf Bayern 3 Pop nach Acht mit Fritz Egner lief. Manchmal schlupften später die Bänder aus der Kassette. Und dann wickelte man mit einem Kuli das Chaos minutenlang wieder auf. Bald folgte eine echte Sensation: Mit einem tragbaren Musikkassettenabspielgerät namens Walkman konnte man die in der Grauzone kopierte Mucke dann mit nach draußen nehmen. Das alles war eine gemeinschaftlich erlebte Realität. Identitätsstiftend für eine ganze Generation eben. R.I.P., Lou Ottens!

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