Taugt Nürnberg als Kulturhauptstadt?

Nürnberg will am ganz großen Rad drehen und Europas Kulturhauptstadt 2025 werden. Die Entscheidung der Jury fällt am Mittwoch. Sieht man sich die Mitbewerberstädte an, scheinen die Chance jedenfalls nicht schlecht zu stehen, sich dieses Projekt ans Bein zu binden.

Wäre es am Ende gar besser, wenn Hannover, Chemnitz oder Magdeburg den schwarzen Peter bekämen? Ach so, und da ist ja auch noch Hildesheim. Hildesheim als europäische Hauptstadt kulturellen Schaffens können sich jedenfalls schon mal viele schwer vorstellen. Hildesheims Wahl würde in Europa zu Erklärungsbedarf führen („But wy? Tell me one reason!“).

In Nürnberg sollte man gewarnt sein. Hier neigt man ja bisweilen zu einem gesunden Selbstbewusstsein, was in Fürth als Nürnberger Überheblichkeit bekannt ist. Unzählige Feldstudien in der FCN-Fanszene sind bis dato immer noch zu genau diesem Ergebnis gekommen.

Na schön, Nürnberg hat ja tatsächlich einiges zu bieten, es ist eine wunderbare Stadt. Im Gegensatz zu anderen Großstädten (Husch, husch, zurück ins Körbchen, Hildesheim!) kann man sich meist sicher durch Nürnberg bewegen (außer, man fährt mit dem Rad oder geht zu Fuß). Für den Wiederaufbau nach dem Krieg hat man sich ein bisschen mehr Zeit gelassen, damit auch jedes Fachwerk-Häuserl möglichst wieder genauso aussieht wie vor dem Krieg. Auch wenn sie im Moment ausbleiben, lieben die Touristen doch unsere mittelalterliche Fakestadt.

In Frankfurt z.B. hat man nach 1945 einfach schnell irgendwelche seelenlose Betonmonster hochgezogen, je höher, desto besser. Erst vor wenigen Jahren besann man sich darauf, dass eine Altstadt besser historisch ist. Und nicht hysterisch. Die „neue Frankfurter Altstadt“ riecht jedenfalls streng nach Disney. Und weil dies den Frankfurtern etwas peinlich ist, zusammen mit dem Geruch nach He- und Ur(o)in, haben sie sich erst gar nicht beworben. Schlau!

Irgendwann in den 80ern hat sich Nürnberg darangemacht, sein Erbe der Nürnberger Reichsparteitage und Nürnberger Gesetze nicht länger unter den Teppich zu kehren. Heute nennt sich Nürnberg „Stadt der Menschenrechte“ und der proaktive Umgang mit der Vergangenheit ist sicher ein Pfund, mit dem Nürnberg vor der Jury wuchern kann (und Hildesheim nicht).

Man sollte aber nicht so blind sein, zu übersehen, dass Nürnberg bisweilen auch den Charme eines abgestellten Einkaufswagens haben kann.

nürnberg nachts

Das beginnt mit der störrischen Knorzigkeit mancher Bewohner, die lieber „Da sag ich nicht Nein“ in sich hineinmumpfeln, als sich zu einem fröhlichen „Ja, gerne!“ hinreißen lassen.

Unsere Punks sind viel netter als anderswo, sie sagen „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag„, sie tragen Karopullover und manche wählen CSU. Das wird das Besuchserlebnis europäischer Kulturhauptstadtbesucher sicherlich eintrüben.

Geradezu legendär ist das Ärgernis einer vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Verkehrspolitik. Nach dem Krieg wurde Nürnberg autogerecht wiederaufgebaut. Und seit den 70ern hat sich dann so ziemlich jeder OB, egal welcher Couleur, als verkehrspolitischer V*. entpuppt. Die zaghaften Versuche der letzten Jahre mögen anerkennenswert sein. Unter dem Strich bleibt aber nichts übrig, als einer schlechten Lösung nochmals viel Geld hinterherzuwerfen, um hilflos an den Symptomen herumzudoktern, nur um zu zeigen, dass man was unternimmt. Verkehrswende sieht anders aus.

Unaufhörlich schieben sich die Blechlawinen durch Nürnberg, die Zahl der zugelassenen Autos nimmt immer weiter zu, geparkt wird kreuz und quer ohne Rücksicht auf Verluste. Und die Nürnberger Obrigkeit (soweit sie zuständig ist) hat längst das Handtuch geworfen. Sie hat kapituliert. Der Verkehrsdarwinismus hat gesiegt. Der Punkt geht an Hildesheim.

Kurz vor der Entscheidung der Jury hat Nürnberg dann noch mal schnell beschlossen, das Volksbad zu sanieren. Das ist ein schönes Gutzi, aber so, wie Nürnberg im Moment das Geld raushaut, muss man ja auch mal fragen dürfen, wo es am Ende herkommen soll.

Taugt Nürnberg also als Kulturhauptstadt? Jedenfalls ist es ein Projekt, dessen Zukunft so ungewiss wie ein entsorgtes Bügelbrett ist. Alles, was von der WM 2006 geblieben ist, ist schließlich ein Fußballstadion mit Aschenbahn, für das man ein Opernglas benötigt, wenn man sich mal wieder hineinverirrt.

Wir sind aber gar nicht so. Am Ende gönnen wir es auch Hildesheim. Möge der Bessere gewinnen (aber das sind halt wir).