Die Pfade des Qualitätsjournalismus sind manchmal seltsam und verschlungen. Ein solcher Pfad wird in Nürnberg enden. Er beginnt am 16.11. 23 in der britischen Sun:
Manche würden die Sun als Tittenblatt des britischen Boulevard bezeichnen. Wir sind da freilich diplomatischer: Die Sun, sie ist, nun, wie soll man sagen – nicht gerade die Speerspitze des seriösen Journalismus. Ob das, was in einem Sun-Artikel steht, stimmt oder ausgedacht ist, oder ob die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt, wer weiß das so genau?
Der Artikel beschreibt, welche Codes britische Flugbegleiterinnen angeblich für genehme oder weniger genehme Gäste nutzen. Wer vom Flugpersonal als Philip bezeichnet wird (Sun: „It’s bad news if your name is Philip or Bob“), steht demnach für einen Passagier, dem man am liebsten eins in die Fresse hauen möchte:
„That name originated from the term PILP – Passenger I’d Like to Punch
The Sun
Das ehemalige Nachrichtenmagazin
Zwei Monate später blättert ein Spiegel-Redakteur durchs Altpapier. Und da er gerade nicht weiß, worüber er schreiben soll, denkt er sich: Ach das kupfere ich jetzt mal schnell ab. Der von der Sun abgekupferte Beinahe-Klon erscheint auf Spiegel online am 12.1.24:
Das ist schamlos abgeschrieben. Immerhin verlinken sie die Sun. Nun könnte aber noch ein Klugscheißer um die Ecke kommen und sagen „Hey, das habt Ihr doch einfach nur abgeschrieben. Habt ihr das denn mal im Ansatz überprüft?„
Geschickt sichert sich der Spiegel hier ab und lässt sich zu folgendem Halbsatz hinreißen…:
Glaubt man der britischen Boulevardpresse…
Der Spiegel
Das haben doch nicht wir gesagt! Das hat die britische Boulevardpresse gesagt! Wennse hier einfach glauben, was wir hier schreiben, sinnse doch selba Schuld!
Das Ende der Verwertungskette ist aber noch nicht erreicht. Einer geht noch, wir treffen gleich einen alten Bekannten.
Das Ende der Verwertungskette
Zwei Tage später hat nordbayern.de, (das Portal, das manchmal Mühe hat, die deutsche Sprache in Wort und Schrift zu beherrschen) von der Geschichte Wind bekommen. Vielleicht wissen sie auch hier nicht, was sie gerade schreiben sollen. Vielleicht denken sie sich auch hier, ach Gotti, das kupfere ich jetzt mal schnell ab, wir wissen es nicht.
Wie auch immer, am 14.1.24 erscheint auf nordbayern.de der Artikel „Geheimcodes für Flugzeug-Passagiere: Warum Sie lieber Bob als Philip sein sollten“ und der arme Philip wird nun im dritten Medium durch die Schlagzeile genudelt. Der arme Mann hat sicher jetzt schon eine Kupferallergie:
Das Lufthansafoto gibt/gab es nur auf der Übersichtsseite zu sehen, nicht jedoch im Artikel selbst. Selbstbewusst startet der Artikel:
Nürnberg – Viele Berufsgruppen haben eine eigene Sprache – Flugbegleiter sind da keine Ausnahme.
nordbayern.de
Wieso Nürnberg? Wenn man sich als Drittverwerter nach zwei Monaten hier freudigst bedient, muss man sich doch mal die Frage gefallen lassen: Was bitte hat dieser Artikel mit Nürnberg zu tun? Seltsam auch, warum hier ein Foto der Lufthansa benutzt wird. Was bitte hat dieser Artikel mit der Lufthansa zu tun?
Die durchgenudelte Nudel wird hier nochmal schamlos durchgenudelt. Dass am Ende kein hochwertiger Journalismus steht, sondern einfach nur irgendein Gschmarri, darf nicht verwundern.
Es ist ein Trauerspiel.