„Männer führen Kriege, Männer sind schon als Babys blau“ grölte ein Herbert aus dem Ruhrpott vor Jahrzehnten ins Mikro. Männer kennen keinen Schmerz. Männer wechseln Reifen und bringen den Müll sogar bei Minusgraden vor die Tür.
Die Psychologie des 12. Mannes
Mehrere Studien über den Profifußball der letzten Wochen lassen nun aufhorchen. Auch Fußballlaien wissen ja, dass normalerweise die Heimmannschaften deutlich mehr Spiele gewinnen als die Auswärtsteams. Das ist Psychologie. Die Unterstützung durch schreiende Fans ist ja auch als der 12. Mann bekannt. So dürfte es niemanden wundern, dass bei den fanbefreiten Corona-Geisterspielen dieser Vorteil dahinschwindet. Die Analyse der Spielergebnisse bringt allerdings Erstaunliches zutage: Nicht nur geht die Zahl der Heimsiege zurück. Nein, es gibt inzwischen sogar mehr Auswärts- als Heimsiege!
Wenn’s in der Seele Aua macht
Diese überraschende Erkenntnis ruft natürlich nach einer Erklärung. Als staatlich unerkannter Küchenpsychologe mache ich mich da gleich mal an die Arbeit. Wenn also 30.000 lärmende Kehlen im Chor mit einem beherzten „Ole, ole, ole“ das eigene Team anschreien, wird ein Sieg wahrscheinlicher. Spielen die Haxenmillionäre jedoch ohne Heimkulisse, reicht’s nicht mal für ein Unentschieden. Das Ego der harten Herren verkraftet es nicht, dass niemand für sie rumschreit. Sie kucken sich um und stellen fest, dass auch ihre Mama nicht im Stadion ist. Das macht in der Seele richtig Aua. Und schon führen die anderen 2:0.
Um besser zu verstehen, warum das fehlende Gebrüll die hiesigen Wadenstolperer so verunsichert, muss man ein bisschen ausholen. Schon als Säugling hat das kommende Mannsbild gelernt, dass Schreihälse zwar unbeliebt sind, dass Schreien aber zum Erfolg führt. Will unser kleiner Fußballbub Jahre später im Supermarkt Kaugummi, schreit er so lang an Muttis Rockzipfel, bis diese entnervt aufgibt. So haben die Riberys und Rooneys dieser Welt früh gelernt: Wer schreit, mag ein Arschloch sein. Doch Schreien ist der Schlüssel zum Erfolg. Der empathische Softie hingegen bleibt auf der Strecke.
Ein entspannender Nachmittag
Und so ist es kein Wunder, dass im Fußballgeschäft nur Leute unterwegs sind, die ihr Geld damit verdienen, dass sie in der Gegend herumschreien. Die Spieler schreien („EEEY!! Atze, der Achter! DER ACHTER!!!“). Die Trainer schreien („THOMAS! FRÜHER PRESSEN!! THOMAS!!! PRESSEN!!!!“). Die Reporter schreien („TOR! TOR!! 1:0 FÜR SANDHAUSEN!!! JA IST DENN DAS DIE MÖGLICHKEIT!!!!“). Und die Zuschauer schreien sowieso („SCHIRI, WIR WISSEN, WO DEIN AUTO STEHT! FAHR BUS UND BAHN!! FAHR BUS UND BAHN!!! SCHALALALALA!!! OLE! OLE!!“).
Ritualisierter Rudelradau
Wenn das Spiel vorbei ist, gehen alle nach Hause. Und alle sind sich einig: Es war ein entspannender Fußballnachmittag. Für den fußballinvolvierten Zeitgenossen kommt das Bedürfnis nach Schreien und angeschrien werden vermutlich gleich nach dem Begattungsdrang. Dieser ritualisierte Rudelradau hat offenbar identitätsstiftende, reinigende und geradezu erotisierende Wirkung. Das weiß auch die UEFA und will für die EM 2021 durchsetzen, dass nur solche Stadien Spiele ausrichten dürfen, die ausreichend Schreihälse reinlassen. Fußball ohne Schreihälse ist wie ARTE. Theoretisch finden es alle Super. Trotzdem schaltet niemand ein.
Das fehlende Gejohle bei Geisterspielen ist vor allem für die Heimmannschaft psychologisch verheerend. Wo früher noch 30.000 Kehlen Zuspruch verkündeten, hört sich der Heimprofi heute nur noch selber grölen („ACH MENNO! GIB MIR DOCH AUCH MAL DEN BALL!!“).
Der Nutzen für die Gesellschaft
Die leistungsfördernde Wirkung des anfeuernden Rudelradaus lässt sich natürlich auch auf andere Bereiche der Gesellschaft übertragen. Wenn ein Mitarbeiter in Ihrem Büro chronisch underperformt, überraschen sie ihn doch mal mit einem 10-köpfigen Kollegen-Brüllchor, der überraschend den Raum betritt und lauthals intoniert:
RICHARD, WIE DU STELLT NIEMAND ORDNER INS REGAL, ORDNER INS REGAL, ORDNER INS REGAL!! SCHALALALALA! OLE! OLE!! RICHARD HAT DIE HAARE SCHÖN, DUDA, DUDA, DUDADUDADEEEE!!!
Sie werden sehen, es wirkt. In Zukunft wird Richard die Ordner noch besser ins Regal stellen. So ticken wir Männer.
Vor allem, wenn wir was mit Fußball am Hut haben.
Chapeau!