Einmal im Jahr findet in Deutschland ein großes Experiment statt: Was passiert, wenn man Millionen mit Sprengstoff hantierende Besoffene in einer einzigen Nacht aufeinander loslässt?
[Update: Für den Jahreswechsel 2020/21 hat die Stadt Nürnberg ein umfassendes Böllerverbot für das gesamte Stadtgebiet erlassen, auch auf privatem Grund]
Die Bilanz ist jedes Jahr die gleiche: Hunderte Verletzte, meist sogar einige Tote, dazu etliche Brände. Die Krankenhäuser haben alle Hände voll zu tun, zerfetzte Hände, Gesichtsbrandwunden usw. irgendwie wieder zusammenzuflicken. Die Feuerwehr ist im Dauereinsatz.
Feinstaub, Alkohol und Gewalt
Dazu kommt es durch den Alkoholkonsum vermehrt zu Gewaltdelikten. An Neujahr sieht es v.a. im städtischen Raum so aus, als hätte die sprichwörtliche „Bombe eingeschlagen“. Verpackungsmüll, zerbrochene Flaschen, Erbrochenes und Überreste von Feuerwerkskörpern bestimmen das Straßenbild. Die „Krone der Schöpfung“ was here! Ach so, und dann ist da natürlich der extrem hohe Ausstoß an giftigem Feinstaub.
Dies alles hätte schon Grund genug sein können, um in den letzten Jahren ein Ritual auf den Prüfstand zu stellen, das längst vollkommen aus der Zeit gefallen ist. Nehmen wir an, es hätte diese seltsame Art, ein neues Jahr mit Suff und Detonationen nie gegeben. Und man würde es heute einführen wollen. Eine Schar vernünftig dreinblickender Politiker mit erhobenem Zeigefinger würde uns dann darauf hinweisen, dass diese Melange aus Alkohol, Lärm, Gestank, Gift, Chaos und Gewalt aus Gründen der nationalen Sicherheit völlig ausgeschlossen sei. Schließlich habe der Bürger ein Recht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit. Ganz abgesehen von den psychischen Folgen für Hund und Katz.
Petition abgelehnt
Weil die durch das Virus eh schon überlasteten Krankenhäuser nicht zusätzlich mit Verletzten belastet werden sollen, haben die Niederlande an Silvester ein Feuerwerksverbot erlassen. Und bei uns?
2015 hatte der Bundestag bereits einmal eine Petition abgelehnt, die ein „bundesweites Verbot des Abbrennens von Feuerwerk einschließlich von Böllern an Silvester“ gefordert hatte.
Kein Platz in überlasteten Krankenhäusern
Neben den alljährlich auftretenden Problemen kommt in der Neujahrsnacht 2021 die Pandemie verschärfend hinzu. Die Krankenhäuser dürften gut ausgelastet, wenn nicht sogar vollkommen überlastet sein. Weshalb man in den Niederlanden ja den Verkauf und das Abbrennen von Feuerwerkskörpern dieses Jahr verboten hat.
Und so stellt sich dann auch für uns die Frage, ob hier der Rubikon überschritten ist. Weil für Patienten schlichtweg keine Kapazitäten mehr vorhanden sind. Weil die stark beanspruchten Hospitäler jetzt auch noch mit Böllerverletzten belastet werden.
Mit einem Kater ins neue Jahr
Die Welt geht durch turbulente Zeiten. Ist es im Angesicht der drängenden Probleme da angemessen, das alte Jahr im Vollrausch zu verabschieden? Mit einem schmerzhaften Kater das neue Jahr zu beginnen? Oder möchte man an Silvester lieber mit klarem Kopf auf das Jahr zurückzublicken? Und sich ein paar Gedanken zu machen, wie man es im neuen Jahr besser machen könnte?
Bitte kein Feuerwerk an Silvester
Verbote sollten die Ultima Ratio sein. Viel effektiver und wünschenswerter wäre es, wenn sich in der Gesellschaft langsam die Erkenntnis durchsetzt, dass wir aus einer Zeit herausgewachsen sind, in der man das neue Jahr in oppulentem Übermut begrüßen sollte. Die sinnlose Böllerei mit dem enormen Austoß an Feinstaub, der zugemüllte Neujahrsmorgen samt seiner verkaterten Gesichter, zerfetzte Hände, verbrannte Haut und überfüllte Krankenhäuser.
Vielleicht dämmert es uns als Gesellschaft ja doch noch, dass dies alles negativ und überflüssig sein könnte. Und dass der vorangegangene „Spaß“ keine Erfüllung, sondern eher ein euphorischer Rausch mit Nebenwirkungen war.
In diesem Sinne: Rutschen Sie gut, aber hoffentlich nicht auf den OP-Tisch!
Dem Pflichte ich bei. Eigentlich ist die Völlerei und Böllerei auch für Haustiere schlecht. Ein ökologisches Desaster. Josef
Eins vorweg: Ich kann mit Sylvester nichts anfangen: Zwangsfeiern, zwangsbesaufen und zu allem Überfluss noch das bescheuerte, gefährliche und dreckige Feuerwerk. Schrecklich!
Trotzdem bin ich gegen ein Verbot. Warum? Nach meinem Eindruck legt sich zunehmend ein freudloser Calvinistisch/protestantischer Schleier wie Mehltau über das Land. Und durch Corona hat sich diese schlechte Entwicklung noch einmal extrem verstärkt. Alles, was mit Genuss und sinnlichem Erleben zu tun hat, wurde dichtgemacht. Übrig bleibt nur, was die lohnabhängigen Roboterarmeen am laufen hält (Schulen, Kitas) oder das schale und leere Versprechen auf ein Paradies im Jenseits (Kirchen). Und Vieles wird auch nicht wiederkommen, denn nach Corona wird der Verzicht mit „Klima“ begründet werden. Es muss aber im menschlichen Leben auch ein bisschen Raum für irrationalen Exzess, Verschwendung und Völlerei geben. Wir sind Menschen, keine Maschinen.
Einzig die Lage in den Krankenhäusern würde m.E. eine einmalige Aussetzung des Verkaufes von Feuerwerk rechtfertigen.
Laß die Moleküle rasen,
was sie auch zusammenknobeln!
Laß das Tüfteln, laß das Hobeln,
heilig halte die Ekstasen.
Christian Morgenstern
Hat sich erledigt – Stadt erlässt Böllerverbot im gesamten Stadtgebiet: https://www.nuernberg.de/presse/mitteilungen/presse_69657.html