Gendern polarisiert die Gemüter. Ein paar Schlagworte. Ruckzuck kocht die Empörungsmachine! So titelt am 17.2.21 nordbayern.de: Australische Uni will die Begriffe „Mutter“ und „Vater“ abschaffen!
Echt jetzt? Schon sehe ich ihn vor meinem geistigen Auge: Den typischen konservativen Nordbayern-Rentner vor seinem flimmernden Windows XP. Wie er zu schnauben beginnt. Wie er mit hochrotem Kopf ins Wohnzimmer rumpelt. Wie er sich mit einem empörten Grunzen Befreiung verschafft, ob dieses Genderschwachsinns, denn das gehe nun wirklich zu weit. Jetzt wollen sie die Mutter abschaffen. Und den Vater auch gleich!
Gemach, gemach. Ganz sicher kann mein regionales Qualitätsportal seine Schlagzeile mit ein paar knallharten Fakten, Recherchen oder mit seriösen Quellen untermauern. Oder? Schwupps, schon bin ich fündig. Quelle ist der STERN:
Die Schlagzeile wurde von Nordbayern fast 1:1 übernommen. Der genaue Blick auf den Link verrät, dass die Autorin wohl via Facebook auf den Sternartikel gestoßen ist:
Knallharte Recherche sieht anders aus. Doch wo hat der Stern die Info her, dass australische Akademiker die Begriffe „Vater“ und „Mutter“ abschaffen wollen? Ganz unten im Artikel erfahren wir es. Quelle ist die Daily Mail, ein Medium, von dem die SZ 2013 schrieb, dass die…
(…) Kolumnisten der Zeitung „einen solch blühenden Wahnsinn“ schreiben würden, dass „man nie sicher sein“ könne, „ob sie das wirklich ernst“ meinten.
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/medien/online-portal-der-daily-mail-das-web-zum-ausrollen-1.1677694
Schon in der Überschrift klingt die ganze Sache dann schon weniger dramatisch. Von Abschaffen ist hier keine Rede, stattdessen heißt es:
Academics from nation’s top university tell staff to call mothers the ‚gestational parent‘
Und weiter unten:
But a spokesman for ANU, Australia’s top ranked university, said the document is not an official policy of the institution. The spokesman said the handbook was produced by experts who are allowed to ‚research in their field of expertise under our policies on academic freedom‘.
Mit anderen Worten: Australiens Top-Uni ANU will keineswegs die Begriffe „Mutter“ und „Vater“ abschaffen und durch genderneutrale Begriffe ersetzen. Im Gegenteil legen sie offenbar Wert darauf, dass dies genau NICHT der offizielle Grundsatz der Uni ist. Vielmehr klingt es so, als sei dies eben die Ansicht einiger Wissenschaftler, die in ihrem Bereich recherchieren dürfen. Und dies sei eben durch die akademische Freiheit gedeckt.
Fazit: Irgendwelche Wissenschaftler am anderen Ende der Welt möchten, dass an ihrer Uni statt „Mutter“ bzw. „Vater“ „austragendes Elternteil“ bzw. „nicht-gebärendes Elternteil“ gesagt wird. Die Uni sieht das nicht als offizielle Politik. Die Daily Mail stellt diesen Sachverhalt vermutlich mehr oder weniger korrekt ins Netz. Der STERN macht daraus die reißerische Überschrift, dass „australische Akademiker“ diese Begriffe „abschaffen“ wollen. Eine nordbayern-Redakteurin liest dies (mutmaßlich) auf Facebook und recycelt die Geschichte samt verzerrter Interpretation. Aus einigen Akademikern ist außerdem nun eine ganze Universität geworden. Hütet Euch vor dem Genderwahnsinn!
So erzählt jeder flüsterpostmäßig ein bisschen dazu. Hauptsache die Klicks stimmen. Und das Ganze nennt sich dann Qualitätsjournalismus.
UPDATE 23.2.2021
Die Tagesschau hat sich des Themas inzwischen auch angenommen (Uni will Begriff „Mutter“ nicht abschaffen) und weist darauf hin, wieviele deutsche Medien sich ungeprüft auf das Thema gestürzt haben. Und oh Wunder…:
Die Behauptung, dass das Handbuch dazu anweise, die Worte „Mutter“, „Vater“ und „Stillen“ durch „Schwangerschaftseltern“, „nicht leibliche Eltern“ bzw. „Bruststillen“ zu ersetzen, „entbehrt jeder Grundlage“,
Und weiter:
Jenkis kritisiert, dass die medial verbreiteten Zitate aus ihrem Kontext gerissen worden seien.
Kein Wunder, wenn alle einfach nur voneinander abschreiben.