Fiebern Sie auch schon dem 1. März entgegen, wenn die Friseure wieder öffnen? Danke. Ich auch nicht. Der Gang zum Friseur ist mir seit Jahren, ach was, seit Jahrzehnten, ein Gräuel. Ich bin bekennender Friseurvermeider.
Wegen mir können alle Friseure zubleiben. Bis in den Dezember. Ach was, für immer. Schon als Kind habe ich nichts mehr gehasst. Weil mich eine krampfhaft kommunizierende Säusel-Tusnelda mit Dauerwelle in einen (Vorsicht: Ich tu’s!) an den Haaren herbeigezogenen Hausaufgaben-Small-Talk reinlabern wollte.
George Bush (ich weiß grad nicht welcher) soll der Legende nach das Kochen mit Brokkoli bei präsidialen Speisen verboten haben. Mit der Begründung, als Kind habe er immer Brokkoli essen müssen. Doch nun sei er der Präsident der Vereinigten Staaten. Und nun müsse er keinen Brokkoli mehr essen. Nun bin ich zwar nicht der US-Präsident, sondern habe es nur zum mittelfränkischen Kreismeister im Knaben-Doppel 1981 gebracht. Trotzdem bin ich jetzt auch ein Großer. Und habe für mich entschieden, dass ich nicht zum Friseur gehen muss.
Na gut, alle paar Jahre gehe ich dann doch mal zum Friseur. Einfach mal um zu sehen, ob ich als Individuum mit Potenzial zu persönlicher Entwicklung nicht dem Trugschluss meiner verfestigten Vorurteile aufsitze. Als alter weißer Mann ist man ja ständig in der Gefahr, dass sich der persönliche Meinungskorridor unmerklich besserwisserisch versteift (hier findet eine gewisse Verlagerung statt). So war ich in den letzten 30 Jahren geschätzt 5 mal beim Friseur. Es war jedes Mal schrecklich.
Dieser Schrecken entsteht regelmäßig aus der Diskrepanz meiner Erwartung und dem Selbstverständnis des Haareschneiders. Ich gehe zum Friseur, weil ich mir die Haare schneiden lassen will. Period. Der Friseur hingegen empfängt mich, weil er mir die Haare schneiden will. Und weil er glaubt, dies sei irgendwie ein wichtiger sozialer Akt, dessen Erfolg von seiner einfühlsamen und intuitiven Gesprächsführung abhänge, da ich mit Sicherheit über dieses und jenes mit ihm plaudern wolle, und er mich deshalb eine halbe Stunde lang zutextet und ausfrägt, denn eigentlich hat er ja mal zwei Semester Psychologe studiert. Ich sitze dann jedesmal leidend auf dem Stuhl und lasse mich höflich vollsoßen.
Lassen Sie es mich direkt sagen: Für mich ist der Friseurbesuch die kleine Schwester des Zahnarztbesuchs.
Zur Ehrenrettung des Handwerks: Vereinzelt habe ich es erlebt, dass Friseure tatsächlich innehalten, wenn man ihnen diesen Wunsch durch konsequente Mürrischkeit signalisiert. Doch sie sind die Ausnahme. Die meisten nutzen die Situation schamlos aus. Weil sie wissen, dass Du niemals mit Aprikosenshampoo auf der Birne schreiend in die Fußgängerzone flüchtest. Jetzt sitzt Du hier, da musst Du durch. Na, wo waren Sie denn letztes Jahr im Urlaub? Ach ja, so ist das. Mensch, Mensch, Mensch.
Für Friseure gilt: Nur ein schweigender Friseur ist ein guter Friseur. Haare schneiden, Klappe halten!
Warum jetzt also ausgerechnet die Friseure zuerst öffnen, vielleicht erklärt’s mir ja einer. Aber sorry, das Argument Würde/Gesundheit/Seelenheil zieht bei mir nicht. Jeder potenzielle Kanzlerkandidat hat es in die Kameras getrötet. Es hat was mit seelischer Gesundheit zu tun. Ein Leben ohne verfassungsmäßig garantierten Seitenscheitel mit eingefrästem Nackenymbol ist ja sowas von würdelos. Und diese Würde wollen wir den Menschen zurückgeben.
Würde man das Argument des Seelenwohls und der Gesundheit aber auch an alle anderen anlegen, dann könnten wir eigentlich so ziemlich alles öffnen: Den lokalen Fußballverein, das Gostner Hoftheater und auch den Nuttenpuff im Schleifweg.
Vielleicht sind Friseure ja deshalb privilegiert, weil die legislative Entscheiderriege selbst so langsam vor einem sichtbar zutagetretenden Dilemma steht. Entweder die Frisur sitzt dreiwettertaftmäßig so akkurat wir bei einem balltretenden Haxenmillionär. Dann klingt die Story von der Ehefrau, die mal in Tokio Friseurwissenschaften studiert hat, irgendwie unglaubwürdig. Oder Du musst Dich vor die Kamera stellen und siehst aus wie ein Kissenschlachtweltmeisterfinalteilnehmer vom Team Catwheezle.
Entweder Sie stehen also da als jemand, der genau die Regeln bricht, die er selbst aufgestellt hat. Oder Sie müssen sich in die optischen Niederungen Ihrer Wählerschaft begeben. Was wahrscheinlich noch schlimmer ist. Weil die Leute sich bei Ihrer randomisierten Haarpracht auch beginnen vorzustellen, wie Sie bei Aldi in der Schlange stehen oder was für ein Gesicht Sie wohl beim Kacken machen.
Unser Nürnberger Wunderkind („Mein Platz ist in Bayern“) hat das alles natürlich längst durchschaut. Er präsentiert sich frisurmäßig gerade so verlottert, dass es noch volksnah genug ist. Aber auch nicht so superakkurat, dass ihm der Geruch der Privilegierten anhaften würde. Dazu, auf der PK, unter dem seriösen Jacket eine scheinbar achtlos halb zugezippte Weste, als käme er gerade vom Nachbargrundstück, wo er noch schnell geholfen hat, einen umgefallenen Baum aus der Einfahrt wegzusägen.
Freuen Sie sich auch schon auf März, wenn die Friseure wieder öffnen? Danke. Ich auch nicht.
Ein Kommentar zu “Haare schneiden, Klappe halten!”