Es wird viel über Solidarität geredet in diesen Tagen. Wenn man will, kann man z.B. das Tragen einer Maske als solidarisches Verhalten werten: Ich nehme etwas unangenehmes auf mich, um andere zu schützen.
Dieser neue Gemeinschaftssinn hat aber auch Schattenseiten. Nicht die Solidarität an sich. Sondern die jüngst aufgetretene Unsitte, ein solches Gemeinschaftsgefühl durch unangemessene Duzer- und Eucherei im offiziellen, öffentlichen Raum herbeireden zu wollen:
Supermärkte z.B. hoffen darauf, durch diesen nervigen Kumpelton ihre konsumfreudigen Kunden längerfristig binden zu können. Durch die Krise. Wir und Ihr.
Nun differenziert die deutsche Sprache zwischen einer familiären Ansprache („Du“, „Ihr“, „Euch“) und einer distanzierten, höflichen Ansprache („Sie“) – vgl. Personalpronomen nach Genus und Respekt. Ich hoffe, ich erinnere mich richtig, aber: Noch vor einem Jahr war es doch undenkbar, dass ich von Netto ganz kumpelig ange-eucht wurde.
Hey, Mann, ach seid so gut und haltet Euch an die Regeln…
Auch bei Aldi tut man neuerdings so, als wären wir alle Kameraden, die sich noch aus Pfadfinderzeiten kennen. Uns alle bezeichnet man auf einmal pauschal als „Euch“, als hätten wir letzten Freitag abend gemeinsam in die Bushaltestelle am Schillerplatz gebrunzt.
Mit Euch ist jeder Tag ausgezeichnet. Danke für Eure Unterstützung.
Hmm, nun, naja..?
So buddymäßig angewanzt und durch die oktroyierte Brille des Gemeinsinns von Aldi ungewollt in eine Schicksalgemeinschaft hineingezwungen, betrete ich nun den Laden und warte nur noch darauf, dass der Kassierer sich von mir nen Fünfer leihen will:
Hey Du und ich, wir gemeinsam, haben doch schon soviel zusammen durchgemacht, Du.
Dabei halte ich in Kneipen, Vereinen und im privaten Kreis das Du meistens für angebracht, unabhängig von „Status“ und Alter. Doch bei Behörden und milliardenschweren Großkonzernen? Wenn die uns schon nicht siezen, wer bleibt denn dann überhaupt noch übrig, uns zu siezen? Dann können wir die ganze Siezerei auch ganz abschaffen und einen Briten pullen.
Zum Glück siezt uns wenigstens der Nürnberger Oberbürgermeister noch. Er hat noch soviel Respekt, die anonyme Masse seiner Bürger im öffentlichen Raum mit einem respektvollen „Sie“ anzusprechen.
Oh, halt, mein Fehler, macht er nicht:
Anscheinend hänge ich da irgendeiner altmodischen Einstellung nach. Aber dieses Euch, dass man uns neuerdings ungefragt von allen offiziellen Seiten entgegenschleudert, ist doch ursprünglich der Ausdruck eines Privileges. Nämlich des Privileges familiärer und freundschaftlicher Vertrautheit.
Ich sag mal so: Wenn Sie bei mir nach 2 Flaschen Wein genächtigt haben und Sie mir am Morgen das Treppenhaus vollgekotzt haben, dann gehören Sie wahrscheinlich zu den Menschen, die ich gerne duzen möchte. Und von denen ich auch geduzt werden möchte.
Wenn unsere Beziehung jedoch ausschließlich auf einem banalen Vertragsverhältnis zum Kauf eines Achterpacks recycletem Klopapier beruht und ich unsere temporäre, aber notwendige Beziehung einfach nur so schnell als möglich abwickeln möchte: Können wir dann bitte beim Sie bleiben?
Das kumpelhafte Duzen ist mir auch schon vor “ Corona “ auf gefallen , in Geschäften, auf dem Markt oder auch nur wenn ich mir einen Kaffee gekauft habe. Ich habe mich gewehrt in dem ich mein mir fremdes Gegenüber betont Sieze. Bei der jetzigen Duz- Sitte auf Plakaten in SB- Märkten schwer möglich…. Also ums kurz zumachen diese Fremdkumpelei stößt mir auch sauer auf….